Hannelores von Verlusten, Aggression und Verfall geprägter
Lebenslauf steht im extremen Gegensatz zu der bunten Bildersammlung,
die den Kern dieser Arbeit bildet. Beim Betrachten der Bilder wird man
geradezu berauscht von den satten Farben, der Schönheit der abgebildeten
Personen, vorwiegend von Hannelore:
Jede Pose sitzt, der Blick – man
kann es verfolgen – wandelt sich im Laufe ihres Lebens von einer unschuldigen,
fast scheuen Jugendlichkeit, hin zu einer willigen, provokanten,
extrem erotischen Aufforderung.
Dieser diametrale Gegensatz von Leid und Freude, einer auf der einen Seite gemarterten, auf der anderen Seite zeitgleich aber ebenso lebensfrohen Frau, die eine große Inszenierung von der Tragik trennt, steht im Mittelpunkt meines Interesses und folglich meiner Arbeit. Ich möchte mit diesem Stück dokumentieren, nachvollziehen, verarbeiten und in einem Fotobuch ausstellen.
Mein Anspruch ist es nicht das Leben
von Hannelore lückenlos zu rekonstruieren, vielmehr will ich den vielen
unbeantworteten Fragen an diese Frau auf den Grund gehen, sie selbst in
Frage stellen und einen Schritt hinter ihre Fassade und Inszenierung wagen.
Diese Irritation in der Gegenüberstellung von Bilderpaarungen von
ihr, die sich in jeglicher Hinsicht so sehr unterscheiden, dass man Zweifel
bekommt, ob es sich tatsächlich um die selbe Person handelt,
ist zentrales
Motiv der Arbeit.
»Es gibt ein Bild von Klee, das Angelus Novus heißt.
Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht,
als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt.
Seine Augen sind
aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte
muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von
Begebenheiten vor uns erscheint,
da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer
auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert.
Er möchte wohl verweilen, die Toten
wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich
in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann.
Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der
Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen,
ist dieser
Sturm.«
Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte (1940)